Nahaufnahme eines Drehmomentschlüssels mit beschädigter M5-Schraube auf Werkbank – Symbolbild für falsches Anziehen und überdrehtes Gewinde
Wenn's knackt, war's zu viel: Kleine Schrauben sind besonders anfällig fürs Überdrehen – ein Fall für den Drehmomentschlüssel

Du kennst das: Ein kleiner Klick zu viel – und die Schraube verabschiedet sich in Richtung Schraubenhimmel. Kein Problem, denkt man. War ja nur eine Befestigung am… Ach du Mist, das war die Bremszange. Willkommen in der Welt zwischen Gefühl und Physik.

Warum Gefühl beim Schrauben gefährlich sein kann

In der Werkstatt regiert oft die Intuition. „Das passt schon, da geht noch einer!“ – und zack, ist der Gewindegang dahin. Dabei ist das Thema Drehmoment kein Hexenwerk, sondern grundsolides Handwerkswissen. Ob du am Fahrrad, Motorrad oder Auto schraubst – das richtige Anzugsdrehmoment ist entscheidend für Sicherheit, Haltbarkeit und Funktion.

Und nein: Gefühl ersetzt keine Messung. Wer Schrauben auf Verdacht festzieht, spielt nicht nur mit Material, sondern auch mit Nerven – spätestens beim nächsten Lösen.


Drehmoment: Was ist das eigentlich?

Drehmoment ist das Produkt aus Kraft und Hebelarm. Oder einfacher: wie stark du mit einem bestimmten Werkzeug (z. B. einem Schraubenschlüssel) eine Schraube drehst. Angegeben in Newtonmeter (Nm).

Warum das wichtig ist?
Weil jede Schraube nur eine gewisse Elastizitätsgrenze hat – also einen Punkt, bis zu dem sie sich „mitdehnen“ lässt, ohne dauerhaft Schaden zu nehmen. Überschreitest du den Punkt, wird’s kritisch: Die Schraube kann sich verformen oder im schlimmsten Fall abreißen.


Festigkeitsklassen – die geheimen Zahlen auf dem Schraubenkopf

Schon mal auf die Köpfe deiner Schrauben geschaut? Die Zahlen dort (z. B. 8.8, 10.9, 12.9) sind nicht zufällig.

Was bedeuten sie?

  • Die erste Zahl (z. B. 10) steht für die Zugfestigkeit in 100 N/mm².
  • Die zweite Zahl (z. B. .9) gibt an, wie viel Prozent davon als Streckgrenze wirken.

Beispiel:
Eine 10.9er-Schraube hat 1.000 N/mm² Zugfestigkeit und eine Streckgrenze von 900 N/mm². Klingt nach Raketenwissenschaft, ist aber im Grunde nur die Info, wie viel diese Schraube abkann – bevor sie aufgibt.

Wichtig: Höhere Zahlen bedeuten nicht automatisch „besser“. Für manche Anwendungen ist eine „weichere“ Schraube (z. B. 8.8) besser geeignet, weil sie sich bei Belastung leicht dehnen kann und so Schwingungen absorbiert.


Zu fest ist kaputt – was beim Überdrehen wirklich passiert

Beim Anziehen einer Schraube geht es um Dehnung – kontrollierte Dehnung. Schrauben halten nämlich nicht, weil sie „irgendwie drin“ sind, sondern weil sie durch Spannung Reibung erzeugen.

Überspannst du sie, passiert Folgendes:

  • Erst dehnt sie sich plastisch – sie verformt sich dauerhaft.
  • Dann reißt das Gewinde oder die Schraube selbst – und plötzlich hält nichts mehr.

In kritischen Bereichen wie Bremssätteln, Zylinderköpfen oder Achsaufnahmen kann das lebensgefährlich werden. Selbst beim Fahrrad kann ein überdrehter Vorbau zur Katastrophe führen – besonders bei Carbonteilen.


Faktoren, die das Anzugsdrehmoment beeinflussen

Viele Schrauber übersehen: Das angegebene Drehmoment in Handbüchern bezieht sich meist auf „trockene“, unbehandelte Schrauben.

Aber:

  • Fett, Öl oder Schraubensicherung verändern die Reibwerte massiv.
  • Eine gefettete Schraube kann sich mit dem gleichen Drehmoment deutlich stärker dehnen als eine trockene – Überdrehung vorprogrammiert.

Tipp:
Wenn du schmierst (z. B. Kupferpaste), reduziere das Drehmoment um 10–20 % – oder halte dich an die Herstellerangaben bei beschichteten Schrauben.


Drehmomentschlüssel: Dein bester Werkstattfreund

Wenn du häufiger schraubst, ist ein Drehmomentschlüssel Pflicht – kein Lifestyle-Gadget, sondern ein Messwerkzeug. Es gibt sie von günstig bis edel, aber wichtig ist:

  • Kalibrierung prüfen (alle 1–2 Jahre).
  • Nicht als Ratsche missbrauchen.
  • Nach Gebrauch auf niedrigstes Drehmoment zurückdrehen.

Welche Größen brauchst du?

  • Fürs Fahrrad: 2–25 Nm
  • Motorrad & Pkw: 10–200 Nm
  • Schwerlast & Tuning: bis 500 Nm (hier wird’s professionell)

Typische Problemzonen – und wie du’s richtig machst

Beispiel 1: Motorrad-Bremssattel
Drehmoment laut Handbuch: z. B. 30 Nm
Gefühl sagt: „Da geht noch was“ → Fehler.
Konsequenz: Gewinde beschädigt, Bremskraftverlust.

Beispiel 2: Fahrrad-Vorbau
Empfohlen: 5–6 Nm
Gefühl sagt: „Ein bisschen mehr schadet nicht“
Konsequenz: Carbonlenker gespalten, Lebensgefahr.

Beispiel 3: Zylinderkopfschrauben
Immer in mehreren Stufen und Reihenfolge anziehen – ohne Drehmomentschlüssel keine Chance.


Fazit: Wer misst, schraubt besser

Klar, Erfahrung hilft. Aber ohne technische Basis ist Schrauben ein Ratespiel – mitunter eines mit bitterem Ende. Ob du in deiner Werkstatt ein Fahrrad fit machst, den Motorradmotor wartest oder am Auto die Bremse wechselst: Drehmoment ist kein Gimmick, sondern ein Sicherheitsfaktor.

Und mal ehrlich: Wenn du schon Stunden in dein Projekt investierst – warum dann am Schluss mit einer überdrehten Schraube alles ruinieren?

Merke: Drehmoment ist das neue Bauchgefühl – nur besser messbar.

Von Basti

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